Quelle: Berner Zeitung vom 29.09.04
«Bräuchte einen Gitarrenlehrer»
Mit «Shangri-La» legt Mark Knopfler sein vielseitigstes Soloalbum vor. Im
Interview äussert sich der ehemalige Dire-Straits-Kopf über die neue CD, seinen
Motorradunfall, die Faszination des Boxens und seine Faulheit.
Mark Knopfler, 56, blickt der Realität unerschrocken ins Gesicht / KeystoneMark
Knopfler, Wie haben Sie sich von den Verletzungen erholt, die Sie zwangen, Ihre
letzte Tournee abzusagen?
Mark Knopfler: Ich bin wieder ganz okay. Ich hatte mir ja nur einige Rippen und
eine Schulter gebrochen. Da konnten die Ärzte im Krankenhaus nicht viel machen.
Nach zwei Tagen wurde ich entlassen. Meine Knochen konnten auch zuhause
zusammenwachsen!
Als ich Sie vor zwei Jahren fragte, ob Sie Ihr Motorrad selbst reparieren
könnten, antworteten Sie: «Nein, aber ich kann es gut und schnell zerstören!»
Sie hätten dies nicht zu demonstrieren brauchen ...
Das war auch nicht meine Absicht! (lacht) Schuld war eine Autolenkerin aus
Ecuador, die mit einem Lernfahrausweis unterwegs war und danach wegen Betrugs
und Passfälschung ins Gefängnis musste.
Fahren Sie weiter Motorrad?
Ja, es ist eine der letzten Freiheiten, welche mir die Zivilisation bietet. Ich
kann mich entspannen und komme in London erst noch schneller voran als mit
anderen Verkehrsmitteln.
Wo liegt Ihr Shangri-La?
Ich will mit «Our Shangri-La» ausdrücken, dass man den Moment geniessen soll,
weil sich – wie man wieder gesehen hat – bereits morgen alles ändern kann. Du
musst zumindest versuchen, dir ein kleines Stück Himmel zu schaffen. Es wird
zwar vergänglich sein, doch es bringt dir mehr, als in der Vergangenheit oder in
der Zukunft zu leben.
Haben Sie schon früher so bewusst gelebt?
Nein, ich hatte diese nordisch-protestantische Arbeitsethik im Blut. Aufs
College gehen, hart arbeiten und auf die Pensionierung hin sparen – bis dann
irgendein Kerl mit deinem Geld nach Paraguay abhaut … Sorry, see ya! (lacht)
Wie haben Sie das Wort Shangri-La, das auf tibetisch «Sonne und Mond im Herzen»
bedeutet, kennengelernt?
Ich wusste schon lange, dass es «Paradies» bedeutet. Mir in Erinnerung gerufen
hat es jedoch der Besitzer des gleichnamigen alten Studios in Malibu. Er lud
mich ein, mein Album dort aufzunehmen, wo vor mir schon Bob Dylan, The Band oder
Neil Young aufgenommen hatten.
Sie sagten zu?
Ja, denn es passte alles zusammen. Viele meiner Songs basierten eh auf den
Sixties und erzählen von einer Zeit, als die Dinge anders, die Menschen aber
gleich waren. Ich versuche oft, den Sinn der Gegenwart zu finden, indem ich in
eine andere Zeit schaue. «Song For Sonny Liston» handelt beispielsweise von
einem Boxer, dessen Leben viele Parallelen zu jenem von Mike Tyson aufweist.
Woher stammt Ihr Interesse am Boxen?
Ich war nie wirklich am Boxen interessiert, doch als Teenager fand ich diesen
furchteinflössenden schwarzen Typen, der jeden Gegner niederstrecken konnte,
sehr faszinierend. Die Überraschung war entsprechend gross, als er 1965 zweimal
dem jungen Muhammad Ali unterlag.
War Manipulation im Spiel?
Ich weiss nicht mehr als sonst jemand, aber gemäss der Biografie, die ich
gelesen habe, fürchtete Liston die dubiosen Leute, unter deren Kontrolle er
stand. Andere Freunde hatte er keine: Die Presse mochte ihn wegen seines Umfelds
nicht. «Black Power» und die Bürgerrechtsbewegung gingen zu ihm auf Distanz,
weil er in seiner Jugend straffällig geworden war. Mysteriös war auch sein Tod:
1970 fand man ihn mit einer Überdosis Heroin in den Venen, obwohl Liston immer
fürchterliche Angst vor Nadeln hatte.
Haben Sie auch schon von Ihren Fäusten Gebrauch gemacht?
Wenn man in Schottland und in Newcastle aufwächst, muss man einfach hin und
wieder kämpfen. Das gehört dort zum Leben.
In «Back To Tupelo» singen Sie, als Sie noch jung waren, hätten Ihre Träume noch
von Idealen gehandelt. Nun drehen sie sich nur noch um die Realität.
Tatsächlich?
Haben sich Ihre Träume nicht verändert? Damit muss man leben! Schlimm finde ich,
dass die Fixierung auf Ruhm in unserer Gesellschaft noch zugenommen hat. Schon
für Elvis und seinen Manager Colonel Parker war es wichtiger, in Hollywood
Karriere statt gute Rock’n’Roll-Platten zu machen. Selbst nach seinem 25. Film «Clamback»,
der so lächerlich wie sein Titel war! Dabei war längst klar, dass Presley nie
ein zweiter Marlon Brando oder James Dean würde.
Und Britney Spears ist nicht gescheiter …
Nein, die Kinder kommen aus diesen kleinen Bullshit-Fame-Schulen, singen ein
wenig, tanzen ein wenig und mimen vielleicht noch ein wenig. Wo ihr Talent
liegt, ist ihnen egal. Sie wollen nur berühmt werden. Es ist diese kindliche
Vorstellung aus den Fünzigerjahren, dass du irgendwann einem Prinzen begegnen,
ihn heiraten und auf einem Schloss wohnen wirst, worauf sich die Leute heute
wieder fixiert haben. Irgendwie süss, jedoch total unreif.
Wollten Sie immer nur in einer guten Band spielen und nie ein Gitarren-Held
sein?
Well, ich sah mich einige Jahre lang nur als Gitarrenzupfer. Als ich Songs zu
schreiben begann, rückte dies ins Zentrum meines Denkens. Die Gitarre ist
seither vor allem mein Werkzeug zum Komponieren. Ich sollte jedoch mehr Zeit ins
Gitarrespielen investieren. Wenn ich es nicht so vernachlässigen würde, könnte
ich mich noch deutlich verbessern. Ich neige aber dazu, mein Spiel einfach zu
halten.
Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Gitarre denn beschreiben?
Ich l-i-e-b-e dieses Instrument noch immer! Ich bin seit meiner Jugend ein
Gitarren-Fetischist, kaufe weiterhin Gitarren und liebe es, sie anzuschauen und
über sie zu sprechen. Aber ich lerne keine Akkorde mehr wie noch vor einigen
Jahren, als ich mit Hilfe von Büchern meine Defizite wettzumachen versuchte. Ich
bräuchte einfach einen Lehrer, der wie ein Fitness-Instruktor an meiner Türe
pochen würde!
Welche Gitarristen aus der aktuellen Musikszene hätten bei Ihnen mit einer
Bewerbung Chancen?
Ach, es gibt Millionen von fantastischen Gitarristen, die mir beibringen
könnten, dass man dieses Instrument nicht wie ein Klempner den Hammer halten
sollte …
Berner Zeitung, Interview: Reinhold Hönle, London